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Ein perfekter Sonntagmorgen

8. Dezember 2002, Hürtgenwald



Was für ein wunderbarer Tag!

Sonntag, in jederlei Hinsicht.
Ausschlafen. Die Welt selbst entscheiden lassen, wann sie mich wecken möchte, und sie hat es heute offenbar für zwanzig nach 10 eingeplant.
Na gut, das ist OK. An einem so wunderbaren Tag wie diesem soll man nicht kleinlich sein.

Noch aber habe ich ja nicht mal die geringste Ahnung von diesem Tag, stecke noch überwiegend eingerollt unter dem sagenhaftesten Federbett aller Zeiten, oben in Mannis kuscheligem Alkoven, ganz unterm Dach, in dieser warmen, weißen Höhle, mit einem blauen Bettbezug, blau-weiß, wie die finnischen Farben, und werde erst langsam wach.

Draußen liegt um uns herum sicherlich immer noch dieser tolle Wanderparkplatz, irgendwo mitten im Naherholungsgebiet Hassenich/Geseen, irgendwo mitten zwischen Dings an der Bums und Trallalahausen, an irgendeinem Sonntag irgendeines eisigen Dezemberanfangs in irgendeinem Jahr 2002 auf irgendeiner Erde dieses Sonnensystems.

Das muß präzise genug sein für einen Sonntagmorgen.

Auf jeden Fall muß jenseits von Manni bereits reges Treiben herrschen, den Geräuschen nach zu urteilen. Kommende und fahrende Autos, schlagende Türen, schlagende Kofferräume, Schritte im Schotter, der kalt klingt.

Also stecke ich zunächst einmal prüfend die Nase aus der sagenhaftesten Bettdecke aller Zeiten heraus.

In der Tat kalt.

Aber es waren auch Minusgrade angesagt worden, gestern, und die Heizung hatte ich, um Gas zu sparen, und aus Sicherheitsgründen, über Nacht wie immer ausgestellt.
Träge blinzele ich in das milchigweiche Winterlicht, das durch Oberlichter und zugezogene Vorhänge hier und da hereinfällt, friere jetzt schon, und werfe schließlich einen prüfenden Blick über die Reling des Alkovens.

Eine Etage tiefer Halbdunkel.

Umschlossen von einem glimmenden Band rotblauer Vorhänge, ab und zu eine Sofaecke, durch eine Ritze erleuchtet, und der seltsame Eindruck, daß Manni von hier oben aus und in diesem Licht starke Ähnlichkeit mit einer Kneipe am nächsten Morgen hat, dann, wenn sie noch geschlossen ist.
Ich weiß nicht, was das bedeuten soll.

Kalte Luft ist schwerer als warme, nicht wahr?
Sie sammelt sich bevorzugt in tieferen Lagen, nicht wahr?

Sicherheitshalber rolle ich mich noch einmal für zehn Minuten in die sagenhafteste Bettdecke aller Zeiten zurück, sammle Konzentration, zähle schließlich auf Drei und schmeiße mit einem Ruck die Decke zur Seite, aber natürlich so, daß das Warme drinnen bleibt.
Hurtig gilt es dann, die Beine über die Brüstung zu schwingen und dabei möglichst nichts aus dem Bett zu treten, das beim Fallen Schaden nehmen oder anrichten könnte.
Oh, mein Gott, jetzt hängen meine Füße schon baumelnd über dem Abgrund, du liebe Güte, kann das kalt sein da unten, wenn man frisch aus einem körpertemperierten Daunenuterus ausgespuckt wird.

Das muß alles noch viel schneller gehen!

Eilig die Aluminiumleiter greifen, die zwar keine Gelegenheit ausläßt, sich nützlich zu machen, im Grunde aber eigentlich immer nur im Weg steht, die nackten Füße auf die eisigen Sprossen, den Hintern lüpfen und abwärts in die schummrigen Tiefen von Mannis Bauch, ganz da runter, wo es so kalt ist, daß man schon das Kohlendioxid sich am Boden verflüssigen sieht.

Endlich kommt der Knopf für die Heizung in Greifweite.
Hinlangen, reinrammen, rumdrehen, auf das holde Geräusch einer zu feuern beginnenden Gasflamme lauschen, Thermostat hoch, letzte Sichtkontrolle und Wiederaufstieg.
Unglaublich, wie gelenk und behende plötzlich ein 1.80m-Mensch mit ganz langen Armen und Beinen sein kann, ein letzter Ruck, und ich rolle fast vornüber in den Alkoven zurück, Manni wiegt sich leicht unter meinem Gewicht hin und her, kommt dann wieder zur Ruhe, und ich auch langsam.
Die sagenhafteste Bettdecke aller Zeiten herangerissen wie ein rettendes Schlauchboot im Eismeer, hinein, die letzten Kältebrücken stopfen - und gaaanz entspannt ausatmen...

Geschafft.

Ich gedenke der Heizung eine Dreiviertelstunde Vorsprung zu geben.
Das sollte reichen.

Ganz eng rolle ich mich noch einmal in die Decke, murmele verhalten durch irgendeine Falte "Guten Morgen, Manni!" und schlafe kurz darauf auch schon wieder.

Ja, so müssen Sonntage anfangen, das ist toll.




Beim zweiten Anlauf, eine Dreiviertelstunde später, ist alles schon nicht mehr so schlimm.

Das Kohlendioxid auf dem Boden ist komplett sublimiert, und ich kann aufstehen und Frühstück machen.

Für alle, die nicht mitgerechnet haben: es ist jetzt viertel nach 11.

Schnell den dicken Pullover übers Haupt gestülpt und frisch ans Werk.
Der Wasserhahn an der Spüle arbeitet leider noch nicht zufriedenstellend. Irgendwo ist es unten drunter undicht, und deshalb muß ich mir mein Kaffeewasser manuell aus einem tragbaren Reservekanister zapfen, der unter der Spüle verstaut ist.
Jetzt ist es hier drin schon richtig heimelig wärmelig um den Hintern rum, und ich sage "Danke, Heizung", und "Guten Morgen" natürlich auch.
Der Wasserkanister wird gnadenlos unter der Spüle hervorgezerrt, aber er steht auch extra so, daß er sich drinnen nirgendwo festhalten kann.
Ist halt nur schwer.

Frühsport.

Jetzt, wo ich im Schacht schlafe und das allmorgendliche Bettabbauen entfällt, ist das in Ordnung.
Draußen ist es jetzt wieder ein wenig ruhiger, und kaum daß der Wasserkessel auf dem Herd steht, sind die Vorhänge dran.
Neugier!
Schon, als ich den ersten beiseitegezogen habe, denke ich nur:

"Talvi."

Das ist Finnisch und heißt 'Winter'.
Der ganze Platz ist mit knusprigen Rauhreif-Crispies überzogen, wo man nur hinguckt.
Weiß wie Salzkristalle und unter Garantie sehr kalt.
Eine Handvoll Autos sind um Manni herum auf dem Platz verteilt, die meisten kompakt und silbergrau, mit umgebauten Kofferräumen für große Hunde oder umgebauten Rücksitzbänken für große Familien.
Ein Rentnerpaar mit Mützen und dicken Jacken klopft sich Brösel aus den Wanderschuhprofilen und blinzelt skeptisch in meine Richtung.

Fein.

Ich falte mir eine Filtertüte, schütte Kaffeemehl ein und gieße mir erstmal eine große Kanne Heißgetränk auf.
Die Rentner sind mittlerweile abgeschippert, dafür sind aber kurz darauf ein paar Gassigeher neu hinzugekommen.
Während der Kaffee durch den Filter plätschert, bereite ich schon die erste Toastschiene vor, und während ich bald darauf warm sitze, warm trinke, Radio höre, frisches Röstbrot mit Marmelade und Honig genieße und dabei raus ins Kalte gucke, werden dort weiterhin fleißig Hunde und Kinder zwischen Waldwegen und Fahrzeugen hin und her über den Schotter gescheucht, eingepackt, ausgepackt, wird abgefahren und angekommen.

Ganz schön lebendig, so ein Sonntagvormittag auf einem abgelegenen Parkplatz im Nationalpark von Weißnichwo, irgendwo in diesem Jahrtausend.
Warum nur sehen die alle so aus, als wäre ihnen kalt?
Herrje, diese armen kleinen Hündchen!
Ihre Bäuche setzen ja schon fast auf dem gefrorenen Boden auf, und was für ein grausiges Volumen-Oberflächen-Verhältnis die haben!

Darauf erst noch mal ein Schlückchen heißen Kaffee.

Ja, aber irgendwann ist auch das schönste Frühstück mit der besten Aussicht vorbei, ich verbrenne begleitend zur letzten Tasse Kaffee noch ein wenig Kräutermedizin zur Verdauungsförderung und begebe mich irgendwann danach schließlich ganz entspannt an den langwierigen Prozeß des Aufräumens, in Fachkreisen auch Clearing genannt.
Und wenn man nur lang genug cleart, hat man irgendwann für alle Systeme Clearance und kann losdüsen.
So war das bei Katjusha, und so ist das auch bei Manni, nur daß ich mit ihm noch nicht die Routine habe, die das ganze ab einem gewissen Punkt deutlich erleichtert.
Ich habe noch nicht die exakten Positionen aller wichtigsten Gegenstände ausreichend gelernt. 'Ausreichend' heißt dabei, daß ich sie notfalls auch im Dunkeln finden, greifen, nehmen oder wegpacken kann.
Soweit bin ich leider noch nicht, und zappele deshalb immer noch viel zu sehr rum, wenn ich das Frühstücksgeschirr versorge, die Bücher oder den ganzen elektrischen Plunder.

Das Team muß sich erst wieder aufeinander einspielen, jawoll.

Irgendwann später dann scheint aber plötzlich alles clear, und ich bin noch immer unglaublich entspannt.
Nur pinkeln müßte ich mal.
Hat der Kaffee sich aber beeilt heute.
Ich mache es kurz und schmerzlos als letzte Handlung an diesem Ort, und nachdem ich bereits in voller Ausgehkleidung stecke.

Ja, hier draußen ist wirklich kalt.

Beim Pinkeln überraschen mich zwei Reiterinnen, die plötzlich mit ihren Kleppern dicht neben mir aus dem Unterholz gebrochen kommen, aber ich glaube nicht, daß sie allzuviel gesehen haben.
Gemsig spurte ich zu Manni zurück, umrunde ihn noch mal kontrollhalber und bin endlich wieder da, wo es ja soooooo supersuperwarm ist, und sage zur Sicherheit ein weiteres Mal "Danke, Manni."
Die allerletzten noch nicht niet- und nagelfesten Dinge werden entweder im Cockpit verhakt oder auf den Boden geworfen, und jetzt kann es auch schon fast losgehen.
Bin ich noch entspannt?
Ja.

Im Gegensatz zu allem anderen, was ich bisher gefahren habe, wirkt Mannis Cockpit jedesmal, wenn ich hineinklettere, so etwas von dermaßen unglaublich groß auf mich, daß ich mich dann regelmäßig frage, ob man es nicht vielleicht noch untervermieten könnte.
Es wird Zeit für den großen magischen Moment eines jeden Tages.

Manni anlassen.

Sicherheitshalber streichele ich ihn vorher ein wenig am Armaturenbrett, und woanders auch noch.
Das große weiße Mammut.
Mit dem Gesicht eines Mammuts, eines alten Mammuts.
Das mitunter auch schon mal eine Minute oder so vorglühen muß.
Wahnsinn!
Man ist plötzlich live mit dabei, wie vor langer, langer Zeit die Gottlieb-Daimler-Gedenkminute eingeführt wurde. Sieht all die Generationen treuer Dieselfahrer vor sich, wie sie mit zugekniffenen Augen im Gegenlicht auf die trübe glimmende Vorglühkontrolleuchte gespinxt haben, und sich alle drei Sekunden fragten:
"Jetzt aber gleich, oder?"
Das ist gelebte Geschichte, das sind Baujahr und Höchstgeschwindigkeit in einer Zahl, das sind dreiundzwanzig Jahre unerschrockener Mammutcharakter und 65 PS, die JETZT hoffentlich endlich zeigen können, was sie können.
Zärtlich und entspannt, aber bestimmt, hebe ich den Zugschalter aus dem Armaturenbrett, das matte Lichtlein erlischt, und müde schnaufend, den Rüssel schüttelnd und mit den Stoßzähnen klappernd, erwacht das Maschinchen im Bauch des Kolosses zu schüchternem, verfrorenen Leben.
Ich bedanke mich bei Manni.

Es kann losgehen.

Der Platz scheint frei, nur von etwas weiter her schauen schon wieder die ersten Passanten zu uns herüber, aber das ist normal.
Endlich darf ich die Handbremse lösen, diesen genialen Krückstock, so etwas Tolles wird heute auch schon nicht mehr gebaut.
Langsam rollt Manni im Rückwärtsgang an. Der Motor ächzt immer noch unter dem Nachtfrost in seinen Gliedern und stampft wie ein Traktor, aber Zentimeter um Zentimeter schieben sich die fetten Zwillingsreifen unter dem Wohnzimmer in den Platz hinein, grünes Licht auf allen Systemen, Öldruck OK, Diesel OK, Temperatur... im Kommen.
Wir parken aus.
Ganz entspannt.

Wie in Zeitlupe tuckert das weiße Mammut mit dem Arsch voran in die Platzmitte, scheint dort zu verharren, nein, bewegt sich jetzt doch wieder, diesmal vorwärts.
Aber es wird immer noch nicht schneller.
Wie ein großer, wechselblütiger Waran, noch halb erstarrt von der Nacht, kriecht Manni die Ausfahrt hinauf, und obwohl er so langsam ist, scheint er doch in diesem Moment das einzige zu sein, was sich hier bewegt.
Der ganze übrige Platz ist derweil erstarrt.
Alle Kinder, alle Hunde, alle Rentner sind stehengeblieben und haben ihre Köpfe in unsere Richtung gedreht, ein Rudel menschlicher Rehe, aufgeschreckt von einem Geräusch, einem Brüllen, das dann aber doch kein Raubtier ist, sondern etwas ganz und gar Eigenartiges, das man unbedingt im Auge behalten muß.
Keiner der Anwesenden denkt in diesem Augenblick noch ans Wandern oder Hundeausführen.

Sie alle schauen für eine halbe Minute oder so mit offenen Mündern einem röhrenden, keuchenden Zeitlupenmammut hinterher, wie es so quälend langsam, daß man es am liebsten anschieben möchte, sich aus dem Parkplatz heraus auf die enge Straße hebt, um dort angekommen besorgniserregend geduldig ein wenig Fahrt nach der anderen aufzunehmen und schließlich, endlich, auf dem reifglitzernden Weg von dannen zu kriechen.

Und weil es so groß ist und so langsam, ist es selbst Minuten danach, als es die nächste Kuppe schon fast erreicht hat, noch gar nicht kleiner geworden in den Augen derer, die ihm auch jetzt noch hinterherstarren und keine Worte finden.

Die hat der Fahrer nämlich mitgenommen.




Wißt ihr, was klasse ist?

Soll ich euch sagen, was klasse ist?
An einem strahlend blauen, sonnigen, Frühwintertag mit anständiger, kalter, klarer, trockener Luft und 75 km/h über die Landstraße zu schweben und dabei finnische Country-Musik zu hören.
Das ist klasse!

Manni ist einfach großartig.
Die Windschutzscheibe hier hat mindestens zweihundert Quadratmeter!
Und die Seitenfenster jeweils wohl auch noch mal fünfzig.
Es ist eine Pracht.
Selbst die anderen Autos sehen von hier oben betrachtet aus wie Spielzeuge.
Dieses Panorama ist so einzigartig, da sehen selbst die Ortschaften aus wie Spielzeuge.
Kleine Märklin-Landschaften im HO-Format, links und rechts zwischen Stoppelfelder gesetzt, Äcker von der Rolle, auf die Spanplatte gekleistert und Eisenbahnschienen darüber verlegt.
Irre.
Die Ampeln haben endlich mal die richtige Höhe. Man muß sich nicht dauernd den Hals brechen, um sie abzulesen, sie gucken einem direkt in die Augen.
Irgendwo stoppe ich dann noch mal zwischen, zaubere ganz entspannt den Rest Texassuppentopf von gestern aus dem Schrank und erwärme ihn mir.

Zweites Frühstück.
Versuchen Sie das mal in Ihrem Fiat Panda!

Manni ist auch gut drauf.
Mit fünfzig im vierten Gang in geschlossenen Ortschaften geht mit ihm richtig das eiszeitliche Temperament durch.
Da bremse ich ihn dann immer schon ein wenig.
Aber sonst, einwandfrei.

Einen halben Tagesritt später erreichen wir Frechen.
Ein Mercedes überholt uns, und ich denke mir:
"Na, guck an. Du fährst 'nen Benz, ich fahr 'nen Benz. Aber meiner ist größer!"
OK, aber wann hat man sonst schon mal die Gelegenheit, sowas zu denken?

Köln rückt näher, die Nähe einer Großstadt schon deutlich spürbar, deutlich ungemütlicher.
Vororte ziehen an uns vorbei, Kiesgruben und Grüngürtel.
Alles herbstgelb, alles braun, nur manchmal schon wintergrau.
Und alles seltsam leblos.
Erste Vorboten des Winters?
Oder wovon sonst?

Es ist komisch, aber jedesmal, wenn ich wieder in die Stadt zurückkehre, sehe ich mehr sinnloses Zeug, mit dem wir uns umgeben haben.
Was hier durch die Straßen gezerrt wird, ist doch der reine Wahnsinn.
Das kann doch nicht mehr lange gutgehen, oder?

Manni ist auf jeden Fall gut auf seinem Parkplatz angekommen, und ich auch.
Es tut mir wirklich leid, ihn da draußen in der Kälte zurücklassen zu müssen, aber mit in die Wohnung nehmen kann ich ihn nun wirklich nicht.
Dafür ist es einfach zu groß, das weiße Mammut.

Ach, und bevor ich es vergesse:
Danke, Manni.




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