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Es war Freitag, der 27. September 2002, kurz nach halb acht, als ich mit dem Manni auf der A 4 Richtung Westen den Großraum Dresden verließ und den Großraum Chemnitz (ehem. Karl-Marx-Stadt) erreichte. Der letzte Asphaltcowboy ritt an der Flanke des Erzgebirges entlang ein weiteres Mal in den Sonnenuntergang. Alles war in Ordnung. Auf Höhe Chemnitz machte ich noch kurz an einer Autobahnraststätte halt in der Absicht, ein paar Feierabendbier einzukaufen. Auf halbem Weg vom Parkplatz zur Tanke fiel mir aber wieder ein, daß ich ja schon welche im Rucksack von Zuhause mitgebracht hatte, und ich kehrte zum Manni zurück, um weiterzufahren. Gerade hatte ich den Beschleunigungsstreifen verlassen und mich in die rechte Spur eingefädelt, da begann der Motor zu stottern. Von einem Moment zum nächsten nahm die Maschine kein Gas mehr an, sprotzte und schüttelte sich, und noch ohne ihren Gipfelpunkt überhaupt erreicht zu haben, sank die Tachonadel leise aber beständig zurück in die Bodenlosigkeit. Kaum blieb mir Zeit, mich der eisigen Schauer anzunehmen, die in dem Moment über meinen Rücken jagten. Mannis Maschine setzte aus! Irgend etwas mußte ich tun, als in meinem Blickfeld eine Autobahnausfahrt erschien. Chemnitz-Glösa. Immer langsamer werdend setzte ich den Blinker und zog den Manni mit letzten Kräften aus der Bahn raus. Die Ausfahrt rollte ich bis ans Ende runter, dort stand eine Ampel, sie war natürlich rot. In dem Moment, als ich vor ihr an der Haltelinie zum Stehen kam, tat der Motor das gleiche. Stille. Die sächsische Nacht begann uns einzuhüllen, die Ampel wurde grün, hinter mir hupte jemand. Hastig machte ich den Schalter für die Warnblinkanlage ausfindig und schaltete sie ein. Mein Hintermann zog zügig links an mir vorbei, bog rechts ab und war weg. Da stand ich. Allein und havariert irgendwo im tiefsten Osten mit einem niegelnagelneu erworbenen Wohnmobil, dessen Motor mich allerdings anscheinend soeben verlassen hatte. Freitag abend, kurz nach acht. Scheiße! Ich versuchte, den Motor erneut anzulassen, aber außer dem wimmernden Anlasser bewegte sich nichts. Ein Überprüfen der Sicherungen brachte ebensowenig neue Erkenntnisse wie ein Blick unter die Motorhaube. Nicht einmal 70 km waren dem Manni und mir beschieden gewesen. Mich meiner ADAC-Mitgliedschaft entsinnend kramte ich Knochen hervor, nur um festzustellen, daß der Akku leer war. Gottseidank hatte ich aber das Netzteil miteingepackt. Es war schnell hervorgezaubert, jetzt brauchte ich nur noch Strom. Von Mannis Invertor im Schrank wußte ich zwar theoretisch schon, dachte aber praktisch nicht daran. Stattdessen versuchte ich mich verzweifelt an dem Zigarettenanzünder im Armaturenbrett, dabei immer noch die Worte des Vorbesitzers im Ohr: "Der tut es aber nicht, is wohl irgendwo 'n Kurzer drin..." Er hatte Recht. Meine Versuche, dort einen Adapter hineinzurammen, bescherten mir dann auch lediglich zwei durchgebrannte Sicherungen. Ja, ich probierte sogar, den Manni von der Kreuzung zu schieben, da ich meine Position am Ende einer dunklen, abschüssigen Autobahnausfahrt auf mittelfristige Sicht doch als relativ unbehaglich empfand. Leider wog der Manni rund fünfzigmal mehr als ich, und ich war keine Ameise. Ich glaube, ich schaffte es, ihn ca. 25 cm zu bewegen. Ein allerletztes Mal wollte ich einen Startversuch unternehmen. Ich glühte wie ein Besessener vor, den Zugstarter umklammert, als hinge mein Leben daran (tat es ja irgendwie auch...), und jubelte den Anlasser bis an sein physisches Limit. Auf einmal ein kurzes, trockenes Knirschen aus dem Motorraum - dann nichts mehr. Vollkommenes Schweigen. Fortan zog nicht einmal mehr der Anlasser durch. Kein weinerliches Gewimmer mehr von ihm. Nur noch Grabesruhe. Das war's. Ich mußte jetzt den ADAC anrufen. Irgendwo ein Telefon finden, das Strom hatte. Auf der anderen Straßenseite, direkt gegenüber der Einmündung, in der ich stand, lag irgendein Firmengelände, sah aus wie eine Spedition o.ä. Und aus den Bürofenstern drang noch Licht. Also zog ich mich warm an, schloß den Manni ab und ließ ihn notgedrungen warnblinkend und sicherheitshalber noch standbeleuchtet zurück, um Hilfe zu holen. Vorsichtig, um niemanden zu erschrecken, betrat ich das Fimengelände und versuchte, an den hellen Fenstern auf mich aufmerksam zu machen. Drinnen erledigte eine Frau noch letzte Aufräumtätigkeiten, und als sie mich am Fenster stehen sah, erschrak sie trotzdem. Ich mußte jedoch verzweifelt genug ausgesehen haben, um glaubhaft zu wirken, und schließlich ließ sie mich sogar in ihr Büro, wo ich ihr meine mißliche Lage schildern und ihr Telefon benutzen konnte. Um dem ADAC meine derzeitige Position mitteilen zu können, erhielt ich von der Frau eine Firmenvisitenkarte, auf der die Adresse verzeichnet war. Diese Karte habe ich immer noch. Einen dicken Dank deshalb noch einmal nachträglich an jene unbekannte Dame vom Transportunternehmen Steffen Haase, Chemnitz - und sorry für das Erschrecken... Irgendwann tauchte der gelbe Engel dann auch auf, und sogar ziemlich fix. Allerdings vermittelte mir der Herr, kaum daß wir uns gegenüberstanden, bereits das Gefühl, mein Anruf hätte ihn möglicherweise gerade vom Betrachten eines wichtigen Fernsehereignisses abberufen, oder vom Sex mit seiner Frau oder sowas... Dieser fliegende Mechaniker fiel als einziger aus allem, was ich bisher an Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft in jenem Landstrich kennengelernt hatte und im weiteren noch kennenlernen würde, deutlich heraus. Der Einsatz stank ihm, und er machte keine einzige Sekunde einen Hehl daraus. Er fluchte auf den Manni als (sinngemäß) "schon wieder eine von diesen Schrottkarren, wegen derer man spät abends immer noch ausrücken muß" usw. In diesem Fall also kein Dank an den ADAC, mit dem ich vorher eigentlich nie so schlechte Erfahrungen gemacht habe. Mehr widerwillig kroch der gelbe Mann dann folglich unter dem Manni herum und fand kurze Zeit später sogar etwas. Einen losen Dieselschlauch. Weitere Worte von Mannis Vorbesitzer fielen mir wieder ein: "Da ist vieles neu gemacht worden, am Motor [...] die ganzen Schläuche..." Hm. Jetzt nur mal rein hypothetisch angenommen, bei einer solchen Aktion würde einer der Schläuche durch Zufall nicht wieder richtig aufgesteckt... Er säße lediglich locker auf seiner Muffe und könnte... ... sich in einem beliebigen Moment, der nicht vorhersagbar ist, wieder aus seiner Befestigung lösen. Plausibel. Aber mit exakten Methoden wohl schwer nachweisbar. Von der Frage nach der Verantwortung ganz zu schweigen... Wie dem auch sei, der ADAC-Mann steckte den Schlauch wieder auf, und ich sollte erneut starten. Gesagt, getan - nichts. Der gelbe Engel kam immer teuflischer drauf und wollte mich irgendwann nur noch anschleppen. Sein Fahrzeug machte dabei nicht den Eindruck, als würde es dieser Aufgabe uneingeschränkt gewachsen sein, aber probieren konnte man es ja mal... Zuerst wollte er mich zu einer nahegelegenen Tankstelle schleppen, wo auch die Beleuchtung besser war, und so nahm er den Manni an den Haken seines Kombis. Ich bekam noch einige Instruktionen, dann jucheißten wir im Gespann los. Ja, wir erreichten die Tankstelle. Und ich ließ sogar ein paarmal die Kupplung im zweiten Gang kommen, aber jedes Mal, wenn ich das tat, gab es nur ein entsetzlich jaulendes Geräusch aus Mannis Motorraum, das für mich aber eher aus dem direkt darunter gelegenen tiefsten Schlund der Hölle zu dringen schien, und der gelbe, blinkende Kombi am vorderen Ende des Seiles ging in die Knie, daß die Federn krachten. Mannis Motor war nicht nur tot - er gebärdete sich auch, als hätte man ihm einen Stock zwischen die Speichen gesteckt. Statt durchzuziehen blockierte das ganze Aggregat und würgte meinen Schlepper immer regelmäßig um ein Haar ab, wenn ich einkuppelte. Im hellen Neonlicht einer Dea-Tankstelle kamen wir zu einem erneuten Stop, aber auch im Hellen rüttelte den ADACler keine bahnbrechende Erkenntnis zu Mannis Zustand. Endlich und nach viel weiterem Gefluche fiel ihm nur noch eines ein - eine nahe Mercedes-Werkstatt, die wohl jetzt noch offen hatte, und zu der er mich schleppen könnte, und das wäre nun wirklich die letzte Möglichkeit für ihn, einer solchen Schrottkarre noch zu helfen, und dann solle ich ihn bitteschön endlich zurück zu seiner Frau lassen usw. (sinngemäß)... So gelangten der Manni und ich zum Autohaus an der Blankenburg. Der ADAC-Mensch zerrte mich einmal ums Haus bis zur Nutzfahrzeugannahme auf der Rückseite, hakte mich ab, erledigte fluchend die Formalitäten und war schließlich nur noch ein Schatten in der Nacht. Endstation. Es dauerte eine Weile, bis wieder etwas mit dem Manni geschah, da ich meinen Fall erst vortragen mußte. Irgendwann kam er dann aber als letztes Fahrzeug dieses Abends noch auf die Grube, ein Mechaniker spazierte ein paarmal unter ihm lang und taschenlampte kritisch nach oben, dann steckte er den Kopf heraus und konstatierte, daß die Sache klar wäre. Schön. Seinen folgenden Satz höre ich noch heute, als wäre es gestern: "Der Motor ist im Arsch." Wieder unterlag ich den eisigen Schauern entlang des Rückens hoffnungslos, und als meine Knie dem Impakt wider Erwarten doch standhielten, durfte ich sogar mit runter in die Grube und mir das Schlamassel in situ anschauen. Was war passiert? Aus irgendeinem Grunde mußte die Steuerkette gerissen sein, die im Motor so Plunder wie die Nockenwelle antreibt. Ein Bauteil, das eigentlich ein Motorleben lang hält, hatte versagt, und nicht nur das! Irgendwie hatte sich diese verfluchte Kette danach auch noch mit einer solchen Wucht nach unten in die Ölwanne hineingewickelt, daß es diese direkt zerkloppt hatte! Ich konnte das mehr als daumennagelgroße Loch in der Ecke der Ölwanne mit eigenen Augen sehen. Die Steuerkette guckte leicht erkennbar daraus hervor. Von den ca. 4,5 Litern Schmieröl aus dem Innern des Antriebes fehlte verblüffenderweise jede Spur. Sie wurden vermutlich bis heute nicht gefunden, oder wenn doch, muß es eine ziemliche Schweinerei gewesen sein... Vage keimte in mir der Verdacht auf, daß jenes seltsame, kurze Knirschen aus dem Motorraum bei meinem Versuch, den Manni neu zu starten, mit dem desolaten Anblick, der sich mir bot, irgendwie in ursächlichem Zusammenhang stehen mochte, aber die Konsequenzen daraus blieben mir lange Zeit unklar. Insbesondere gelang es im nachhinein bislang niemandem, schlüssig zu erklären, warum die Steuerkette einfach so reißen konnte, und vor allem wie es ihr danach noch gelang, die Ölwanne zu zertrümmern... Und gerade aufgrund dieser Unfaßbarkeit des Ereignisses - in Verbindung mit der eindeutigen Haftungsausschlußklausel in modernen Kfz-Kaufverträgen - zweifelte ich gar daran, ob es möglich sein würde, das Ganze einfach dem Vorbesitzer zurück an die Backe zu nageln und wenigstens im Rückwärtsgang noch halbwegs heil wieder aus diesem Desaster herauskommen... Sicher war lediglich eines - dieser Motor WAR im Arsch! Durch den Riß der Kette war die Nockenwelle eben nicht mehr angetrieben worden und die Ventile somit in ihrer derzeitigen Stellung zum Stillstand gekommen. Die Kolben hingegen hatten weitergedreht und dabei unter Garantie ein paar Ventile zerschlagen. Mit ein wenig Pech hätten sie selber noch was abgekriegt und/oder die Nockenwelle wäre gebrochen usw... Um das aber herauszufinden, müßte man den Motor ausbauen und zerlegen und um da überhaupt ranzukommen natürlich vorher die Vorderachse ausbauen, und das dauere und das koste... Mir drehte sich alles vor Augen, und das Autohaus erreichte das Ende seiner Öffnungszeit. In der kommenden Nacht durfte ich auf dem Hof der Werkstatt stehen bleiben und im Manni übernachten. Das war sehr freundlich, und ich bekam sogar 220 V aus der Werkstatt nach draußen gelegt. Theoretisch hätte ich sogar in der Halle stehen dürfen, wo es wärmer war, aber das ginge wegen der Alarmanlage nicht. Morgen würde man weitersehen... So kam ich doch noch zu meinem Feierabendbier, und ich hatte es plötzlich auch bitter nötig... Mein Nachtmahl bestand aus ein paar Doppelkeksen, von denen mir eine Rolle als letzter Proviant traurige Gesellschaft leistete. So endete der erste Tag, an dem ich ein neues Wohnmobil besaß... |
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